HUS. Ja das kann man so sagen. Es war die Kunsthalle Bern und man hatte erstmals eine Jury eingesetzt. Einige auch namhafte Berner blieben damals draussen.
A.F.G. Was war das Besondere an Ihrer Arbeit?
HUS Sie müssen sich vorstellen, das Jahr 1982 war eine Zeit vor der Personal-IT. Der PC war zwar in den USA geboren, in der Schweiz wurden im professionellen Bereich entweder Einplatz-Buchungscomputer, oder aber Grossrechner eingesetzt. Diese Einplatzmaschinen hatten bereits einen Mikroprozessor, jedoch bis auf wenige noch keinen Bildschirm; hingegen war ein Nadeldrucker eingebaut. Das Ganze sah aus wie eine etwas komfortablere Schreibmaschine.
A.F.G. Gab es denn damals schon Computerkunst?
HUS Ja natürlich, z.B. Vera Molnar und andere. Sie haben mit den ersten Plottern Computergrafiken hergestellt. Die Paint-shop Aera kommt erst später mit dem PC.
A.F.G. Was war Ihre Intension, mit dem Computer zu arbeiten?
HUS Im Grunde ärgerte ich mich über das simple Zeug, das mit diesen Maschinen damals gemacht wurde.
A.F.G. Sie haben mit Ihrer Arbeit aber noch etwas Simpleres gemacht, warum?
HUS Ja und nein. Einserseits wollte ich aufzeigen, dass der Computer ein Werkzeug ist, dessen Output auf einer im Grunde einfachen JA/NEIN-Welt aufgebaut ist. Das sah man den Grafiken der Molnar nicht an. Sie zeichnete ja einfach mit dem Ding, wenn auch programmatisch parametrisiert. Sicher, immer wenn sich ein neues Medium anbietet, wird es sofort besetzt. Ich ahnte schon damals, dass sich die Zukunft aber immer weiter vom einzelnen Bit entfernen würde. Meine ersten Bits habe ich noch auf selber gebauten Transistor-Flip-Flops gespeichert. Mir war klar, dass die Entfremdung des Menschen von der Natur immer weiter fortschreiten würde, je weiter man diese Technologie trieb. Es war naheliegend, dass diese Technologie irgend einen Pferdefuss haben musste.
A.F.G. Haben Sie schon das posthumane Zeitalter anbrechen sehen?
HUS Es war eher der Mythos, der mich beschäftigte.
A.F.G. Höre ich da die Dialektik der Aufklärung (DA) heraus?
HUS Ja, sehen Sie, der Kernsatz der DA war: Der Animismus beseelte die Dinge (die Natur), das technisch wissenschaftliche Zeitalter verdinglicht die Seelen. Der Anbruch des digitalen Zeitalters als solches ist an sich nicht Aufklärung, sondern ist nach wie vor Gegenstand des rational technischen Zeitalters. Der neue Mythos war aber, den Menschen von seiner Arbeitslast zu befreien mit den Mitteln der Technologie. Der Traum war die Freizeitgesellschaft. Aber wie wir heute wissen, brachte der Sieg des Kapitalismus ein ganz anderes Muster hervor. Und gerade davon berichteten die Computergrafiken einer Molnar nicht. Der Computer wurde als Paradebeispiel für seelenlose Intelligenz verwendet. Er besitzt kein personales ICH oder SELBST oder wie wir es nennen wollen. Er macht nur was wir ihm sagen, sein Output wird von uns “beseelt“. Doch war das schon alles, macht er wirklich nur, was wir ihm sagen?
A.F.G. Was sprechen Sie an?
HUS Vielleicht kehrt der Animismus zurück. Stellen sie sich vor, wenn die ganze Welt virtuell geworden ist, ist doch letztlich alles Geist geworden. 1 und 0 sind dann “Jing und Jang“ dieses Mythos und gleichzeitig das Ende von Jing und von Jang.
A.F.G. Das verstehe ich nicht.
HUS Ich auch nicht klingt wie ein Koan.
A.F.G. Zurück zu Ihrem Werk. Was war anders an dieser Computerarbeit?
HUS Es wahr mehr Konzept als Grafik. Ich habe registriert, ausgezählt. Wenn wir von Bit und Bytes reden, sprechen wir in der Folge von zweiwertiger Logik, dem binären System. Dieses ist direkt verwandt mit der Mengenlehre. Schaltalgebra und Mengenlehre sind in vielem identisch. Während wir im numerischen System von der analogen Welt sprechen. Zwischen null und eins sind unendlich viele Zahlen untergebracht. Nehmen Sie 0,999999999/unendlich. Werden Sie die Zahl EINS je erreichen? In der digitalen Welt springen wir von null auf eins und zurück. Ich glaube nun, da wir in der physikalischen Welt eingebettet sind, dass diese ein Mix sein könnte zwischen diesen beiden Systemen.
A.F.G. Wie muss ich das verstehen?
HUS Sie müssen nicht, da ich es auch nicht verstehe. Ich frage mich nur, ob ein Quantensprung ein digitaler oder ein analoger Vorgang ist, oder ob eben hier beide zusammenfallen. Aber nun zu meinem Werk. Ich habe einfach die Einwohnerzahl von Bern an zwei verschiedenen Zeitpunkten (dazwischen ca. 1 Jahrzehnt) als Striche ausgedruckt. Auf einer dritten Liste die sogenannten Differenzpersonen. Es waren glaube ich weniger, also Minuspersonen. Formal waren es einfach Computerlisten mit grossen I I I I I I I usw. Diese Endloslisten haben eine ihnen ganz eigene Ästhetik durch die blauen Balken; Design Agnes Martin, (lacht).
A.F.G. Und erst die Nadeldruckerzeichen, Nadeldrucker sind ja schon lange nicht mehr in Betrieb.
HUS Was heisst lange? Da sehen Sie nur, wie die Zeit kürzer wird.
A.F.G. Dieses Werk wurde also bei einer läppischen Weihnachtsausstellung abgelehnt?
HUS Wurde es. Man muss sich vorstellen, die Listen waren nicht einmal gerahmt, ich habe sie einfach so als Stapel eingereicht. Die haben wohl gedacht, da erlaube sich einer einen Scherz. Nun, was diese Listen angeht, überall lagen natürlich solche Listen in den Büros herum und weshalb sollten die nun plötzlich Kunst sein.
A.F.G. Haben Sie sich damals zu den Minimal-Artisten gezählt?
HUS . Ich habe später beim Mikrofilm “Menschheit“ von Minimalfilm gesprochen. Der war und ist so minimal, dass ihm sogar die Perforation fehlt. 5 Milliarden Striche in Blöcken oder Bildern zu 20'000. Er ist mehr Minimalfilm als beispielsweise der Film von John Cage, in welchem Sie über eine Stunde Lichtkegel an Wänden herumhuschen sehen. Meinen betrachten Sie in einem Mikrofilmbetrachter oder mit einer Lupe. Wer damals auf der Welt war, ist mit einem Zeichen registriert.
A.F.G. Was war die Intension zu diesem Werk und kann man sagen, es ist Ihr Hauptwerk?
HUS Es ist und bleibt, so glaube ich, mein Hauptwerk, obschon ich das heute noch nicht definitiv sagen kann. Ich befasste mich damals einerseits mit Frühgeschichte und andererseits mit der jüngsten Vergangenheit, dem Holocaust. Die unzähligen anonymen Opfer des Holocaust, die bürokratische Abfertigung des Massenmordes, schien mir nach einigen malerischen Misstritten zu dem Thema als nicht angemessen, nicht darstellbar. In der Versachlichung des Menschen auf einen Gedankenstrich erreichte ich jene “Kälte der bürgerlichen Subjektivität“ (Adorno), die dem Thema nach meiner Ansicht irgendwie gerechter wurde. Nehmen Sie beispielsweise den Einfaltspinsel Robert Longo, der an der - ich glaube es war die Schneckenburger, die 8. Documenta - grünlich schimmernde grosse Tafelbilder mit den Schuh- und Brillenbergen von Auschwitz gezeigt hat. Eine Ästhetisierung des Grauens ohnegleichen. Auf den ersten Blick denkt man, wau, ist der Kerl engagiert, dabei hat er das Leiden der Opfer nur für seine egoistischen kleinbürgerlichen Kunstzwecke missbraucht.
A.F.G. Sie gehen hart ins Gericht.
HUS Ich ging mit mir ebenso ins Gericht. Das einzige Bild von mir zu diesem Thema welches ich nicht zerstört habe, ist ein grosses gemaltes Strichbild, auf das ich eine Briefmarke der Reichspost geklebt hatte. Aber auch da muss man sich fragen, war das nötig.
A.F.G. Sie haben Striche auch gemalt?
HUS Ja, ich habe lange Zeit nur Striche gemalt. Zuerst habe ich Zeit gemalt, indem ich einfach Striche malte, Sekundenstriche, was weiss ich. Es war dies die Fliessbandarbeit, die es realiter gerade noch gab.
A.F.G. Die Fliessbandarbeit, welche heute durch Industrieroboter ersetzt wird?